Versorgung ist nicht gleich Versorgung

Wie unterschiedlich Lebenslagen und wie individuell Pflegebedarfe sein können, zeigen die drei persönlichen Berichte von Reinhard und seiner Frau Regina, Vanessa und Dieter.

Ich bin Reinhard, meine Frau heißt Regina. Sie wurde 1952 geboren und ist inzwischen seit fast 20 Jahren seelisch behindert. Schlussendlich hat sie die Wende nicht verkraftet. Sie fand keinen beruflichen Halt mehr und auch die Umschulungen haben ihr nicht geholfen. Die Nächte waren schlaflos, die Sorge um das liebe Geld und die Tochter groß. Die Depressionen wurde flankiert von Angstzuständen und Panikattacken. Von 2000 an besuchte sie täglich eine Tagesstätte für seelisch behinderte Menschen. Meist war sie durch den Besuch dort ausgeglichen und die Medikamente gegen ihre Angststörungen sprachen gut an. Die pädagogisch-therapeutische Arbeit hat ihr sehr geholfen. Leider musste ich sie 2014 schließlich doch in einer stationären Pflegeeinrichtung unterbringen. Der Versorgungsaufwand infolge von Inkontinenz, Schlafstörungen und Ernährung war daheim für mich parallel zum Beruf nicht mehr stemmbar. In der folgenden Zeit wurde meine Frau immer unruhiger. 2015 erlitt sie aufgrund einer Panikattacke im Gemeinschaftsraum der Einrichtung – ein Bewohner wurde sehr laut und warf Gegenstände im Raum umher – einen Herzstillstand und infolge der Reanimation einen irreparablen Hirnschaden. Wie geht es ihr heute? Ihre Unruhen können mit musikalischer Unterhaltung gut unterbrochen werden. Berührungen tun ihr sehr gut. Sie liebt es zu baden oder warm zu duschen. Besonders nachts benötigt sie Zuwendung. Tabletten bekommt sie einmal am Tag, morgens. Den Rest des Tages irrt sie durch die Einrichtung und steht manchmal plötzlich in den Zimmern der anderen Bewohner*innen. Spiele spielen kann sie nicht, auch nicht lange spaziergehen. Vorlesen mag sie gar nicht. Sie liebt Musik, leise durch die Hand rieselnden Sand und nebenbei ein wenig Schokolade.

Reinhard, 71 Jahre alt, aus Aschersleben

Ich bin Vanessa, 26 Jahre alt und Mutter eines 2016 geborenen Sohnes. Mein Sohn Justin ist behindert. Er spricht nicht, reagiert nicht auf Ansprache, wird schnell wütend. Er kann schon ein wenig sitzen, aber laufen oder durch den Raum kullern wie andere Kinder seines Alters kann er nicht. Er wird durch eine Sonde ernährt, ist Diabetiker. Justin ist tagsüber in einem Kindergarten und wird dort zusätzlich zwei Stunden je Tag von Heilpädagog*innen und Ergotherapeut*innen therapiert. Ein Pflegedienst versorgt ihn mit Medikamenten.

Nun muss ich für kurze Zeit selbst in stationäre Versorgung und niemand kann oder will mein Kind aufnehmen. Stationäre Pflegeeinrichtungen, die diese Kurzzeitpflege ermöglichen könnten, sehen sich diesem Aufgabenfeld aufgrund seines Alters nicht gewachsen. Eine auf Kinder spezialisierte Einrichtung ist fast 100 Kilometer entfernt und kann mein Kind nicht aufnehmen.

Vanessa, 26 Jahre alt, aus Köthen

3 Schlaganfälle! Jetzt bin 59, sitz im Rollstuhl, kann weder laufen noch sprechen, habe einen Dauerkatheder. Und keine Frau. Aber meine Kakteen gedeihen wunderbar im Fensterbrett der 4. Etage der Pflegeeinrichtung. An der Wand hängen die Bilder von meinem Wolfspitz. Früher habe ich gern gepuzzelt – und Puzzle am liebsten aus Hundebildern selbst hergestellt.

Ich würde so gern auch über die Mitglieder meiner Familie berichten. So viele Bilder auf Zelluloid und in meinem Kopf, aber aus meinem Mund kommt nur „mmmmnnnnnngrffffff“. Im Garten ist ein feiner Sportplatz für Senioren. Hier lassen sich Arme oder Gleichgewicht trainieren, es gibt eine Huckelstrecke und Hochbeete…. aber allein geht das eben nicht. Ergotherapie und Physiotherapie bekomme ich sporadisch, weil ich noch ziemlich fix mit meinem Rollstuhl bin. Ich beobachte die Menschen auch in der Stadt beim Einkaufen, ich erkenne den einen oder anderen, freue mich, aber wir können uns nicht unterhalten.

Dieter, 59 Jahre alt, aus Magdeburg