Schuldnerberatung – Der Mensch hinter den Schulden

Zur bundesweiten Aktionswoche Schuldnerberatung stellen wir Menschen aus Sachsen-Anhalt vor, die durch AWO Schuldnerberatungen unterstützt wurden oder in AWO Schuldnerberatungen tätig sind.

Alltag in der Schuldnerberatung

„Der Schuldnerberater ist nicht nur für die finanziellen Sorgen da. Wir müssen uns viele Probleme und Sorgen der Klient*Innen anhören. Wir hören zu und schauen hin. Vieles hat mit Geld zu tun. Lebensgeschichten werden ausgebreitet. Wie sind Schulden entstanden. Oft bestehen die Schulden bereits seit dem 18. Lebensjahr und werden nicht abgebaut, sondern haben sich stetig vermehrt. Klient*Innen haben nie gelernt mit Geld umzugehen. Ganze Schuldnerdynastien entstehen. Da waren die Eltern schon beim Schuldnerberater, die Kinder kommen jetzt auch. Alle gehen in die Insolvenz. Im laufenden Verfahren werden wieder Schulden begründet. Diese Kreisläufe gilt es zu durchbrechen. Präventionsmaßnahmen müssen ergriffen werden. Kindern und Jugendlichen sollte der Umgang mit Geld vermittelt werden. Auch das gehört zur Schuldnerberatung.“

Mitarbeiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung des AWO Regionalverbandes Halle-Merseburg e. V.

Der persönliche Kontakt ist uns wichtig

„Nach wie vor ist das Thema Schulden mit einem großen Tabu behaftet. Das ganze Leben gearbeitet, immer mit beiden Beinen fest im Berufsleben gestanden, und nun? Nun reicht die Rente nicht, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Da wird die Rechnung für die Brille schnell zu einem Problem, denn dadurch reicht das knappe Geld kaum, um über den Monat zu kommen. An ein Geschenk für die Enkelkinder ist gar nicht zu denken. Das ist bitter und der Schritt in eine Beratungsstelle fällt schwer. Umso schwerer ist dies mit eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten. Wir haben unsere Beratung den neuen Gegebenheiten und geltenden Bestimmungen angepasst: Vieles lässt sich am Telefon und per Mail klären. Vieles, aber nicht alles.“

Mitarbeiterin der Schuldnerberatung des AWO Kreisverbandes Köthen e.V.

Arbeitslosigkeit, Krankheit, Verlust des Partners, Depression

„Ich bin im Jahr 2009 zu meinem Partner gezogen. Nachdem ich vorher meinen festen Arbeitsplatz im Havelland verloren hatte und keine Rücklagen hatte, musste ich ein Insolvenzverfahren durchlaufen. Ich schaffte es aber mit Hilfe des Partners meine Schulden vollständig zurückzuzahlen. Im September 2014 verstarb mein Partner und ich musste mich einer größeren OP unterziehen. Ich musste mein Leben völlig neu organisieren, was mich teilweise überforderte. Dazu kamen zeitweise depressive Phasen wegen denen ich regelmäßig in ärztlicher Behandlung bin. Da ich mich nun selbst um meine Finanzen kümmern musste, kam ich sehr schnell an meine Grenzen. Um nicht wieder abzurutschen suchte ich mir Unterstützung bei der Schuldnerberatung. Durch das gemeinsame Aufstellen meines monatlichen Haushaltsgeldes gelingt es mir besser den Überblick zu behalten und nicht wieder in die Schuldenfalle zu tappen. Ich fühle mich hier sehr aufgehoben und bin für die Unterstützung im Alltag sehr dankbar.“

Klientin der Schuldner- und Insolvenzberatung des AWO Kreisverbandes Börde e. V.

Ich wurde nicht allein gelassen

„Als mein Mann verstorben war hatte ich einen überschuldeten Haushalt mit zwei Grundschuldeinträgen, die nicht zu bewältigen waren. Ich war psychisch und emotional am Ende, suchte einen Weg zur Schuldnerberatung, was für mich eine große Belastung darstellte. Schon zur ersten Beratung nahm man sich meiner an, empfing mich sehr freundlich, machte mir Mut. Ich wurde von Anfang an gut beraten indem ich die kleineren Summen an verschiedene Gläubiger zahlte. Dann war da noch das Haus mit hohen Grundschulden zweier Banken was ich nicht bewältigen konnte, es kam zur Zwangsversteigerung. Durch die dreijährige Betreuung der Schuldnerberatung veränderte sich mein Leben, wurde zuversichtlicher und stabiler. Dank der guten Beratung und Hilfe konnte ich neu anfangen. Für mich war wichtig, ich…“wurde nicht allein gelassen“, bin rückblickend weit gekommen und habe mit noch geringen Schulden ganz neu in einer anderen Stadt mein Leben neu begonnen.

Allen Menschen, die in so eine Verschuldung geraten, würde ich sagen, auch wenn es noch so schwerfällt, geht den Weg zur Schuldnerberatung, es ist nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang.“

Klientin der Beratungsstelle Halle der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt e. V.

„Da ich inzwischen ohne festen Wohnsitz war, kam auch keine Post mehr und somit habe ich Rechnungen gut verdrängt.“

Den Überblick über die Schulden hatte ich längst verloren

„Ich komme aus keinen behaglichen Elternhaus, was dazu führte, dass ich 1992 zum Jugendamt ging und nach einem Platz in einem Heim fragte. Dort ging es mir besser, ich machte eine Ausbildung und wurde mehr oder weniger auf das Leben vorbereitet. 1996 musste ich für ein Jahr zu Bundeswehr, wo meine Karriere mit Alkohol und Schulden begann. Unwissend das die Miete im Grundwehrdienst vom Sozialamt übernommen werden kann, habe ich anfangs meine Miete noch selbst gezahlt, später merkte ich, dass das Geld nicht reichte und somit zahlte ich nicht mehr und habe mich mit Alkohol auf andere Gedanken gebracht, anfangs noch in Maßen, später schon in Massen.

Im Jahr darauf hatte ich meine Wohnung verloren und damit auch meine Freundin. Ich wohnte dann bei "Freunden" die mich bei ein paar Bier auf andere Gedanken gebracht haben. Da ich inzwischen ohne festen Wohnsitz war, kam auch keine Post mehr und somit habe ich Rechnungen gut verdrängt.
Etwa 2000 wollte ich mein Leben wieder in die Reihe bekommen, da ich bereits Entzugserscheinungen hatte und die Rechnungen sich stapelten. Ich fing wieder an mit arbeiten, das Problem war, dass es auf Montage ging, also wieder unterwegs und Probleme ertränken.

2003 lernte ich meine zukünftige Frau kennen. Nach kurzer Zeit zog ich zu ihr und hatte die Montage hingeschmissen. Ich ging 2004 zur Zeitarbeit. Das war zum Teil gut, da ich jeden Tag zu Hause war. Allerdings war meine zukünftige Frau auch verschuldet und durstig, so dass die Briefe mit den Rechnungen und Mahnungen einfach außer Acht gelassen wurden. Als 2005 mein erster Sohn zur Welt kam, hörte meine Partnerin auf zu trinken und bei mir wurde es weniger. Den Überblick über die Schulden hatte ich längst verloren. 2009 kam mein zweiter Sohn zur Welt. Da fing die Zeit an, wo ich nur noch arbeite und meine Frau sich um die Finanzen kümmerte. Wir hatten geheiratet, ich nahm ihren Namen an. Zu der Zeit war ich wohl mehr bei meinem Nachbar als zu Hause, da ich nicht vor den Kindern trinken wollte.

Wir brauchten eine größere Wohnung, da kam der neue Nachname wie gerufen, schließlich benötigten wir auch Möbel und ich konnte ja mit neuen Nachnamen wieder bestellen. Leider wurde aus dem Bezahlen nichts. 2013 hatten wir uns dann getrennt. Ab dann begannen meine schlimmsten 7 Jahre. Ich zog nach Roßlau in ein nicht so tolles Viertel, alle durstig und das machte es mir leicht, Kontakt zu finden. Ich machte in der Zeit mehrere Entgiftungen und zwei Langzeittherapien.
Nichts half. Im Gegenteil, es wurde schlimmer. Gerichtsverfahren wegen dem Umgang mit den Kids und die Scheidung wollte kein Ende nehmen. 2015 lernte ich eine Krankenschwester aus dem Nachbarort kennen, sie hatte eine kleine Tochter und ich verbrachte viel Zeit mit den Beiden. Sie gaben mir ein Gefühl, was ich lange nicht mehr hatte, trotz meines Alkoholkonsums.

Dann allerdings ging es Schlag auf Schlag. Die Vergangenheit holte mich ein. Alle Schulden die ich machte, kamen nach und nach reingeflattert. Das warf mich mächtig aus der Bahn und damit nicht genug. Die Tochter meiner neuen Bekanntschaft starb mit sechs Jahren, der Lebensgefährte meiner Mutter starb, ein wahrer Freund mit dem ich aufgewachsen bin, starb ... und zum Ende habe ich meine Nachbarin Tod aufgefunden. Danach konnte ich nicht einmal mehr ohne festhalten Treppen runter oder hoch laufen.

Dann bekam ich Ende 2018 auch noch Post vom Jobcenter. Jetzt sag ich Gott sei Dank, damals nicht. Ich sollte doch wieder eine Entgiftung machen. Das war der Punkt, wo sich alles ändern sollte. Somit habe ich Weihnachten und Silvester noch einmal ordentlich zugelangt. Am 08.01.19 hatte ich einen Termin bei der Entgiftung. Mein Plan, bei Null zu starten, stand. Am 30.01.19 ging ich dann nahtlos nach Magdeburg in die Langzeittherapie. Ich war immer noch bereit für Veränderungen. Ich hatte das Glück auf den Saftladen zu treffen, den ich heute noch gern besuche. Nach der Langzeittherapie kam die Adaption. In dieser Zeit machte ich ein Praktikum bei einer kleinen Baufirma.

Ende Juni meldete ich mich in Magdeburg polizeilich an. Jetzt war es Zeit für meine Schulden und das Jobcenter hat mir die AWO Schuldnerberatung in Magdeburg empfohlen, wo ich gleich einen Termin machte. Neben der Unterstützung durch die AWO Schuldnerberatung Magdeburg und dem Saftladen war ich in meinem Praktikumsbetrieb auf Minijobbasis angestellt.

Inzwischen habe ich in 2 Jahren Magdeburg mehr erreicht als in 7 Jahren Roßlau. Mit der AWO Schuldnerberatung Magdeburg bereitete ich den Weg in die Privatinsolvenz vor. Seit kurzen befinde ich mich in dem Verfahren und strebe nach der Laufzeit von drei Jahren die Restschuldbefreiung an. Ich habe tolle Freunde, eine Wohnung und eine Festanstellung im ehemaligen Praktikumsbetrieb und ich bin immer noch zufrieden TROCKEN. Das alles hätte ich nicht ohne Hilfe und etwas Mut geschafft.“

Klient der Schuldner- und Insolvenzberatung des AWO Kreisverbandes Magdeburg e. V.

Schulden – leider verstehen sich die Menschen häufig selbst als schuldig

„Der Mensch hinter den Schulden. Wer denkt dabei nicht sofort an eine Person, die Schulden hat. Die Finanzierung eines Autos, einer Wohnungseinrichtung oder eines Eigenheims mittels Kredit an sich ist erstmal kein Problem, solange man seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt. Aber sobald sich die finanzielle Situation verschlechtert durch langfristige Erkrankung, Verlust der Arbeit oder durch Nachwuchs in der Familie u.v.a.m., kann es durchaus zu Zahlungsengpässen kommen. Selber schuld, mag mancher dann sagen. Doch so einfach ist es leider nicht immer. Viele Menschen haben zunächst eine große Hemmschwelle zu überwinden, bis sie vertrauensvoll eine Beratung aufsuchen. Der Begriff Schuldner impliziert Schuld, so verstehen sich diese Menschen oft selbst als schuldig.

Und dann gibt es ja auch noch die Personen bzw. Unternehmen, die dafür sorgen, dass wir Schulden machen können. Wir nennen Sie Gläubiger. Und schließlich gibt es noch eine weitere Gruppe Menschen hinter den Schulden. Das sind nämlich all jene, welche in den unzähligen Beratungsstellen den in finanzielle Not geratenen Menschen hilfreich zur Seite stehen. Über diese wollen wir im Rahmen dieser Aktion berichten. Ein Feedback sozusagen aus dem Beratungsalltag, der manchen aufgrund seiner inhaltlichen Vielfalt vielleicht doch ins Staunen versetzt. Letztlich geht es nicht nur, wie oft angenommen, um eine Regulierung der Schulden durch Ratenzahlungsangebote, Haushaltspläne und ähnliches. Vielmehr steht der Mensch mit all seinen Sorgen und Nöten in der Gesamtheit im Blick. Meistens sind die persönlichen Probleme mit den finanziellen Schwierigkeiten sehr eng verbunden. Es braucht Zeit und Vertrauen, die Chemie muss stimmen, wie man so schön sagt. Dann findet eine Öffnung des ratsuchenden Menschen statt, welche sehr wichtig ist für einen optimalen Beratungsprozess. Vor einer Schuldenregulierung steht immer der Mensch im Kontext mit seiner ganz persönlichen Situation. Verlust des Partners durch Trennung oder Tod; Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen, Alkohol- oder Drogenmissbrauch; Verlust von Arbeit oder Wohnung; Vereinsamung einhergehend mit Verlust der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bis hin zu suizidgefährdeten Menschen. Es geht um Menschen, die zuallererst angehört werden wollen und müssen, um dann auch unter Hinzuziehung weiterer fachspezifischer Hilfeangebote gemeinsam eine neue Lebensperspektive zu erarbeiten.

Gerade in dieser schweren Zeit der Pandemie ist es für alle Beteiligten eine enorme Herausforderung, diese komplexe Beratung weiterhin in ungeminderter Qualität vorhalten zu können. Was fehlt, ist der unmittelbare Kontakt zu den Klientinnen/Klienten. Ein freundlicher und Vertrauen schenkender Blick, eine nette Geste ohne viele Worte. Trotz aller Professionalität sind auch wir, die Beraterinnen/Berater, Menschen mit eigenen privaten Sorgen und Nöten; auch wir haben in unserem Berufsalltag belastende Situationen von Menschen, die unsere Hilfe in Anspruch nehmen, auszuhalten. Geplante und ungeplante Ausfälle von Kollegen, Konfrontation mit neuen Arbeitsorganisationen und neuer Technik. Umso erfreulicher und motivierender sind Dank und Anerkennung durch die Menschen, welche durch unsere Unterstützung eine unbelastete Perspektive, ja man kann sagen, neuen Lebensmut und Zuversicht schöpfen können. All dies sind Menschen hinter den Schulden.“

Mitarbeiterin einer Beratungsstelle der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt e.V.