Altersarmut – Arm im Alter

Im Alter die Ernte des Lebens eintragen. Es sich gut gehen lassen und Kinder und Enkelkinder unterstützen können. Das wünscht sich nahezu jede*r. In Sachsen-Anhalt wächst derzeit die Generation in die Rente, deren Erwerbsleben in besonderer Weise von den wirtschaftlichen Umbrüchen der Wende gekennzeichnet ist. Viele erzwungene Jobwechsel und auch Zeiten der Erwerbslosigkeit lassen beitragsarme und auch beitragsfreie Jahre in die Rentenberechnung einfließen. Häufig steht an diesem Ende dann eine „kleine Rente“. Ca. 17 Prozent der Renten in Deutschland sind heute unter dem Niveau der Grundsicherung. Die neu eingeführte Respektrente wird diese geringen Renten nicht gänzlich abfangen können.

Mit einer Pflegebedürftigkeit verschärft sich die finanzielle Lage vieler älterer Menschen. Hohe, in den letzten Jahren steigende Eigenanteile in der Pflege schmälern die Renten und bringen den Antrag für Sozialleistungen mit sich. Dem Enkelkind mal ein Geschenk machen oder sich zu einem Schwatz in einem Café treffen – so einfach ist das für ältere Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, nicht mehr möglich. Oftmals treten sie – nicht zuletzt aus Scham über ihre Situation – den Rückzug in die Isolation an.

Wir finden: Alle Menschen in Sachsen-Anhalt sollten die Möglichkeit eines würdigen Lebensabends haben.

Schau hin.
Respektrente muss Umbrüche mitdenken

Die heutige Rentnergeneration schaut auf ein bewegtes Leben zurück. Die Wiedervereinigung vor 30 Jahren ist für nur wenige Menschen in Sachsen-Anhalt ohne Brüche in der Erwerbsbiografie vonstattengegangen. Entsprechend geringer ist das Rentenniveau im Vergleich zu den alten Bundesländern. Die Grund- oder auch Respektrente kann die finanziellen Folgen für jene Menschen abmildern, deren Beschäftigungszeiten in die Nähe des „Eckrentners“ kommen – also nicht wesentlich vom Standard der 45 Erwerbsjahre abweichen. Wer aufgrund des Strukturumbruches hingegen längere Zeiten ohne Beschäftigung war, erhält auch keine Respektrente. Dass hierbei von selbstverschuldeter Beschäftigungslosigkeit kaum die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Die 2021 eingeführte Respektrente soll mehr Menschen im Alter den Gang zum Sozialamt ersparen. Es bleibt zu prüfen, ob sie diese Erwartung erfüllen kann.

Hilfebedarf muss im Vordergrund stehen – nicht das Portemonnaie

Gleichzeitig ist eine weitere Entwicklung zu beobachten: Der Anteil der Pflegebedürftigen ist in den Jahren 1999 bis 2017 um 66 Prozent gestiegen – und dieser Trend setzt sich fort. Eines der zahlreichen Probleme hierbei: Pflege kostet Geld! Während der finanzielle Anteil der Pflegekassen in den vergangenen Jahren auf einem Niveau stagnierte, stieg der durch Pflegebedürftige zu leistende Eigenanteile gleichsam an. Gründe hierfür sind beispielsweise Qualitätsverbesserungen oder Gehaltsanpassungen in der Pflege. Der Gesetzgeber hat hier eine Armutsfalle entstehen lassen. Menschen mit Renten knapp über der Sozialhilfe fallen durch die Pflegestärkungsgesetze – trotz tadelloser Erwerbsbiografie – in die Sozialhilfe. Es verbleibt lediglich ein kleines Taschengeld. Für viele Pflegebedürftige ist das zu wenig, um die hohe Eigenbeteiligung zahlen und notwendige stationäre Pflege in Anspruch nehmen zu können.

Bei zu vielen Menschen in Sachsen-Anhalt reicht die Rente trotz jahrelanger Erwerbstätigkeit heute kaum, um sich benötigte Pflege leisten zu können

Finanzielle Risiken in der Pflege begrenzen!

Die gestiegenen Kosten in der Pflege, die vor allem durch Tariferhöhungen im Pflegebereich verursacht werden, führen direkt zur finanziellen Belastung der Bewohner*innen in Pflegeheimen. Grund dafür ist ein Fehler im Pflegesystem: Da die Leistungsbeträge der Pflegekassen der Höhe nach gesetzlich festgelegt sind und nur durch den Gesetzgeber geändert werden können, belasten steigende Kosten allein die Senior*innen, deren Zuzahlungsbeträge – anders als die Leistungsbeträge der Pflegekassen – nicht gesetzlich geschützt sind. In Folge sind immer mehr Bewohner*innen von Pflegeheimen dazu gezwungen, Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen.

Beispielsweise stieg die Zuzahlung, den die Bewohner*innen selbst tragen, in den Einrichtungen des AWO Kreisverband Salzland e.V. von 2017 zu 2018 um 300 EUR monatlich. Durch diese Erhöhung stieg der Anteil der der Bewohner*innen, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen, um 6 Prozent.

Altern ohne Einsamkeit

Insbesondere alte Menschen in Armut sind von Scham über ihre Situation und Vereinsamung betroffen. Sie reagieren mit Rückzug auf ihre Situation. Nicht nur, dass ihnen weniger Geld für ein gesundes Leben zur Verfügung steht, ihre Lebensqualität ist in der Regel geringer und sie haben ein höheres Risiko für verschiedene Erkrankungen – vor allem für Depressionen.

Altersarmut kann zu Rückzug und Vereinsamung führen – und Erkrankungen wie Depressionen fördert.

Menschen in Armut unterstützen – das Engagement der AWO in Sachsen-Anhalt

In unserer praktischen Arbeit vor Ort begegnen wir vielen älteren Menschen, die in Armut geraten sind. In der Tafel stellen wir Ihnen für kleines Geld Lebensmittel und auch ein Mittagessen bereit. Für viele ältere Menschen ist die Tafel, so wie auch die gern besuchten Seniorentreffs, darüber hinaus ein Ort des Austausches. Hier können sie der Einsamkeit entfliehen. Die AWO plant ihre Projekte regelmäßig generationsübergreifend. Mehrere Generationen unter einem Dach, auf einem Grundstück – das schafft Verbindung und weckt bei vielen Älteren Lebensfreude.

In der Pflegeberatung unterstützen die Mitarbeitenden der AWO die Pflegebedürftige wie deren Angehörige.

Wir nutzen unsere politische Kraft auf allen Ebenen, um zu einer längst überfälligen Deckelung der Eigenanteile zu kommen und so der Armutsfalle Pflege ein Ende zu setzen und gleichsam die Qualität der Pflege auf sehr gutem Niveau beibehalten und weiterentwickeln zu können.

AWO fragt – Landesparteien antworten

Im Juni haben Wahlen in Sachsen-Anhalt stattgefunden und im September wird bundesweit gewählt. Wir haben vorab die Standpunkte von Landesparteien zu ausgewählten Aspekten der Sozialpolitik erfragt.

Pack an!
Wir fordern: politische Initiative und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Altersarmut

  • Das Land muss die Auswirkungen der Respektrente auf Sachsen-Anhalt beobachten, und sich – sollten die erhofften Entlastungen nicht wirken – auf Bundesebene für eine Neuregulierung stark machen, die die besonderen, ostdeutschen Erwerbsbiografien berücksichtigt.
  • Innovationen zur Nachbarschaftsvernetzung müssen gefördert werden, um Vereinsamung entgegenzuwirken.
  • Im Bereich der Pflege müssen die Eigenanteile gedeckelt und medizinische Leistungen im Bereich der Pflege durch Krankenkassen finanziert werden. Das Land muss sich im Rahmen einer Armutskonferenz mit Maßnahmen der sachlichen Zuordnung der Leistungen der SGB befassen und dem Bund gegenüber initiativhandeln.
  • Es braucht eine landesweite Armutskonferenz aus Fachexperten und Politik, um Probleme und Lösungen zu besprechen. Ebenso braucht es weitere Möglichkeiten zum Austausch und der gesellschaftlichen Teilhabe in einem regionalen sowie landesweiten „Runden Tisch Armut“.

Erwerbsarmut

Wer arbeitet, sollte nicht von Armut bedroht sein. Wer arbeitet, sollte von seinem Einkommen würdig leben können. Und wer arbeitet, sollte nicht auf Zusatzleistungen vom Amt angewiesen sein.